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Glossarbeitrag

Was ist Cost of Delay (CoD)?

Cost of Delay (CoD, Verzögerungskosten) beschreibt den wirtschaftlichen Schaden oder entgangenen Nutzen, der entsteht, wenn ein Feature, Enabler oder Projekt später als möglich ausgeliefert wird. Der Begriff stammt aus der Produktentwicklung (Don Reinertsen, The Principles of Product Development Flow) und wurde in SAFe als zentrales Priorisierungskriterium übernommen. 

 

CoD verbindet zwei Dimensionen: 

- Wert (Business Value, Nutzen, Risikoreduktion, Compliance-Erfüllung) 

- Zeit (wie stark sich Wert verringert oder Kosten steigen, wenn Lieferung verspätet ist) 

 

Praxisbezug 

In SAFe ist CoD die Grundlage für das Weighted Shortest Job First (WSJF)-Priorisierungsmodell. WSJF berechnet: 

 WSJF = \frac{Cost\ of\ Delay}{Job\ Size} 

Dadurch werden Vorhaben mit hohem Nutzen und hoher Zeitkritikalität sowie überschaubarer Größe zuerst umgesetzt. 

 

Typische Dimensionen von CoD in SAFe: 

- User-Business Value – Nutzen für Kund:innen oder Business. 

- Time Criticality – Dringlichkeit im Zeitverlauf (z. B. Marktfenster). 

- Risk Reduction / Opportunity Enablement – Beitrag zur Risikosenkung oder Schaffung neuer Optionen. 

 

Relevanz für Organisationen 

- Fokus auf Wert statt Auslastung: CoD zwingt dazu, Wertmaximierung vor Ressourcenauslastung zu stellen. 

- Gemeinsame Sprache für Business & IT: CoD schafft ein ökonomisches Vokabular für Priorisierungsentscheidungen. 

- Vermeidung von Opportunitätskosten: Unternehmen verlieren oft mehr durch verspäteten Wertfluss als durch direkte Projektkosten. 

 

Praktische Beispiele 

E-Commerce – Mobile-Payment-Funktion 

- Ausgangslage: Ein Online-Händler plante die Einführung einer Mobile-Payment-Option (z. B. Apple Pay). Marketing kalkulierte, dass damit die Conversion-Rate im Checkout um 5 % steigt. Bei 200 Mio. € Jahresumsatz entspricht das ca. 10 Mio. € zusätzlichem Umsatz. 

- CoD-Berechnung: Jede Woche Verzögerung kostete ca. 200.000 € entgangenen Umsatz. 

- Entscheidung: Obwohl parallel ein Reporting-Tool geplant war, wurde die Payment-Funktion priorisiert – wegen des deutlich höheren CoD. 

- Wirkung: Das Feature wurde rechtzeitig umgesetzt, Conversion stieg wie erwartet – Opportunitätskosten konnten vermieden werden. 

Telekommunikation – Tarifmodell zur Fußball-WM 

- Ausgangslage: Ein Mobilfunkanbieter plante ein spezielles „WM-Datenpaket“. Das Marktfenster: drei Monate während der Fußball-WM. Marketing schätzte, dass pro Monat Verzögerung ca. 100.000 Neukund:innen verloren gehen. 

- CoD-Bewertung: Time Criticality extrem hoch – nach der WM wäre der Nutzen nahezu null. 

- Entscheidung: Trotz unvollständig modernisiertem Billing-System wurden Ressourcen verschoben, um das Paket rechtzeitig auf den Markt zu bringen. 

- Wirkung: Das Produkt war pünktlich zum Turnierstart live, generierte mehrere hunderttausend neue Verträge und erhöhte den Marktanteil spürbar. 

Industrie – Enabler für Testautomatisierung 

- Ausgangslage: Ein Maschinenbauer hatte Integrations- und Testzyklen von 8–10 Wochen. Fehler wurden spät erkannt, Nacharbeiten kosteten Millionen. 

- CoD-Bewertung: Kurzfristig brachte Testautomatisierung keinen Umsatz. Doch jede Woche Verzögerung verursachte ca. 50.000 € zusätzliche Folgekosten in Projekten. 

- Entscheidung: Trotz Druck nach neuen Features wurde das Enabler-Projekt priorisiert – wegen des hohen CoD in Form zukünftiger Kosten und Risiken. 

- Wirkung: Nach Einführung verkürzten sich Testzyklen auf 2 Wochen, Qualität stieg, Folgekosten sanken massiv. 

 

Umsetzung in der Praxis  

1. Vorbereitung und Rollenklärung 

– Business Owner bringen Business Value und Marktkenntnisse ein. 

– Product Manager / Product Owner formulieren Features klar. 

– Architekten/Enabler liefern technische Risikoeinschätzungen. 

– Teams bewerten Aufwand (Job Size). 

– RTE moderiert den Prozess, SPCs unterstützen als Coaches. 

2. CoD-Komponenten definieren 

– User-Business Value 

– Time Criticality 

– Risk Reduction / Opportunity Enablement 

→ Bewertung erfolgt auf relativen Skalen (1–10). 

3. Gemeinsame Bewertung 

– Cross-funktionale Diskussionen, um Verzerrungen zu vermeiden. 

– CoD wird relativ zu allen anderen Items geschätzt, nicht absolut in Euro. 

4. Job Size ermitteln 

– Teams schätzen Aufwand mit Story Points oder T-Shirt-Sizes. 

– Fokus auf Konsistenz, nicht auf exakte Zahlen. 

5. WSJF berechnen 

– CoD / Job Size → Priorisierungsranking. 

– Sichtbar machen, dass kleine, aber wertvolle Features bevorzugt werden. 

6. Nutzung in Entscheidungsforen 

– PI Planning: Teams nutzen WSJF, um Backlogs gemeinsam mit Business Ownern zu sortieren. 

– Portfolio-Sync / LPM: Portfolio-Boards priorisieren Epics und Initiativen nach CoD. 

Praktische Hilfsmittel 

– Portfolio-Kanban-Systeme (z. B. Jira Align, Rally). 

– Moderierte WSJF-Workshops. 

– Visualisierungen wie Heatmaps oder Bubble-Charts. 

Best Practices 

– Regelmäßige Neubewertung pro PI. 

– Diskussion wichtiger als das exakte Ergebnis. 

– Enabler bewusst berücksichtigen, nicht nur Features. 

– Entscheidungen und Begründungen dokumentieren. 

Stolperfallen 

– Scheingenauigkeit durch exakte Euro-Berechnungen. 

– Politische Spiele bei fehlenden Skalen. 

– Vernachlässigung technischer Risiken. 

– Einmalige statt wiederholte Bewertung. 

 

CALADE-Sichtweise 

Viele Organisationen priorisieren nach Bauchgefühl oder Machtstrukturen. Mit CoD bringen wir ökonomische Klarheit – pragmatisch, transparent und gemeinsam erarbeitet. Wichtig: CoD ist ein Entscheidungswerkzeug, kein Finanzbericht. Wir legen Wert auf praktische Schätzungen und helfen, CoD in regelmäßige Entscheidungsroutinen einzubetten. 

 

Weiterführende Begriffe 

- Weighted Shortest Job First (WSJF) 

- Portfolio Kanban 

- Business Owner 

- PI Planning 

- Enabler 

- Opportunity Cost 

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