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Glossarbeitrag

Was ist eine Ambidextrous Organization?

Eine Ambidextrous Organization („beidhändige Organisation“) beschreibt die Fähigkeit, Exploitation (Effizienzsteigerung und Optimierung des Kerngeschäfts) und Exploration (radikale Innovation, neue Märkte) gleichzeitig zu beherrschen. Der Begriff wurde in den 1990er-Jahren maßgeblich durch Charles A. O’Reilly III und Michael L. Tushman geprägt. 

 

Ursprung und Zweck 

Viele Organisationen scheitern daran, entweder zu stark auf Effizienz und Kosten zu setzen oder ausschließlich auf Innovation zu fokussieren. Ambidextrie soll diesen Spannungsbogen zwischen Stabilität und Wandel ausgleichen. Ziel ist es, das Kerngeschäft profitabel zu sichern und gleichzeitig Zukunftsfelder zu erschließen. 

 

Kernelemente 

- Exploitation: Optimierung, Standardisierung und Skalierung bestehender Produkte und Prozesse. 

- Exploration: Experimentieren, Lernen und Risikobereitschaft, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. 

- Strukturelle Ambidextrie: Trennung von Exploration und Exploitation in separaten Einheiten. 

- Kontextuelle Ambidextrie: Teams oder Führungskräfte wechseln flexibel zwischen beiden Modi. 

- Führung & Governance: Top-Management muss Spannungen aushalten und Brücken schaffen. 

 

Anwendung und Best Practices 

- Dual Operating Systems (Kotter) als parallele Struktur von Hierarchie und agilen Netzwerken. 

- Unterschiedliche Steuerungslogiken: ROI-orientierte Metriken für Exploitation, Lernmetriken für Exploration. 

- Ressourcenpuffer: Schutz explorativer Budgets auch in Krisenzeiten. 

- Führungskräfteentwicklung, die Manager- und Entrepreneur-Rollen vereint. 

- Organisationales Lernen durch Labs, Intrapreneurship-Programme und Corporate Ventures. 

 

Praxisbeispiele 

Google (Alphabet): Explorationsprojekte wie Google X („Moonshots“) sind vom Kerngeschäft getrennt. Profite aus Search und Ads finanzieren riskante Innovationen; defizitäre Projekte werden konsequent eingestellt (z. B. Google Glass). 

Amazon: AWS entstand aus internen Infrastrukturbedarfen, wurde explorativ entwickelt und ist heute Amazons größter Gewinnbringer – parallel zum maximal effizienzgetriebenen E-Commerce. 

BMW und Automobilbranche: OEMs optimieren klassische Produkte und investieren parallel in Elektromobilität, autonomes Fahren und digitale Services. Kulturkonflikte zwischen traditionellen Ingenieuren und Software-Teams verdeutlichen die Spannungen. 

3M: Mit dem „15%-Time“-Programm ermöglicht 3M seit Jahrzehnten Innovationen (z. B. Post-it Notes), während das Kerngeschäft hochprofitabel bleibt. Ein Beispiel für kontextuelle Ambidextrie. 

Nestlé: Betreibt effizienzgetriebenes FMCG-Kerngeschäft und parallel Innovationszentren, die wie Start-ups neue Geschäftsmodelle entwickeln. 

 

Kritik und Grenzen 

- Kulturelle Spannungen: Unterschiedliche Mindsets (risikofreudig vs. konservativ) führen zu Silos, Misstrauen und Machtkämpfen. 

- Führungskomplexität: Paradoxe Führung ist nötig, um Effizienz und Innovation parallel zu fördern – eine Fähigkeit, die nur wenige Führungsteams dauerhaft beherrschen. 

- Ressourcenbias: In Krisenzeiten werden Mittel reflexartig ins Kerngeschäft gelenkt; Exploration leidet genau dann, wenn sie entscheidend wäre. 

- Innovation Theater: Labs und Accelerator-Programme erzeugen häufig Symbolik, aber wenig Integration ins Kerngeschäft. 

- Skalierungsproblem: Exploration produziert oft Prototypen, doch der Übergang in den Markt gelingt nur mit klar gestalteten Brücken. 

- Messbarkeit: Klassische ROI-Metriken vernachlässigen Exploration; explorative KPIs sind kaum etabliert. 

- Limitierte Anwendbarkeit für KMUs: Strukturelle Ambidextrie ist oft nicht machbar; sequenzielle Ambidextrie (zeitlich nacheinander) ist realistischer. 

- Kannibalisierungsrisiko: Neue Geschäftsmodelle bedrohen oft das Kerngeschäft. Beispiele wie Kodak zeigen, wie Führungskräfte disruptive Innovationen blockieren können. 

 

Einbettung und Kombination 

- Dynamic Capabilities: Ambidextrie ist eine operative Manifestation dynamischer Fähigkeiten. 

- Living Transformation: Versteht Ambidextrie als kontinuierlichen Balanceprozess. 

- SAFe: Bindet Exploration und Exploitation über Portfolio-Management und Value Streams zusammen. 

 

CALADE-Perspektive 

Bei CALADE unterstützen wir Unternehmen, Ambidextrie pragmatisch umzusetzen: durch Strukturdesign, Coaching von Führungskräften und Steuerungsmodelle, die Effizienz und Innovation verbinden. In Kombination mit Living Strategy und Living Transformation® schaffen wir Organisationen, die zugleich ambidexter und resilient sind. 

 

Verweise auf verwandte Glossarartikel 

- Dynamic Capabilities 

- Living Transformation

- Living Strategy 

- Organizational Resilience 

- Antifragility 

- Change Fatigue 

- Dual Operating System 

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