EN

Glossarbeitrag

Was sind die SAFe Principles (Grundprinzipien)?

Die SAFe Principles sind zehn fundamentale Handlungsprinzipien des Scaled Agile Framework. Sie geben Organisationen eine gemeinsame Denkweise, um komplexe Entscheidungen zu treffen, Lean-Agile-Arbeitsweisen wirksam umzusetzen und langfristig Wert zu schaffen. Während die Core Values kulturelle Leitplanken darstellen, beschreiben die Prinzipien das „Warum“ und „Wie“ hinter den Methoden und Praktiken von SAFe. 

 

Die zehn Prinzipien sind: 

- Take an economic view 

- Apply systems thinking 

- Assume variability; preserve options 

- Build incrementally with fast, integrated learning cycles 

- Base milestones on objective evaluation of working systems 

- Make value flow without interruptions 

- Apply cadence, synchronize with cross-domain planning 

- Unlock the intrinsic motivation of knowledge workers 

- Decentralize decision-making 

- Organize around value 

 

Praxisbezug 

 

Die zehn SAFe-Prinzipien sind Denkwerkzeuge, keine Checkliste. Sie verknüpfen Strategie, Struktur, Kultur und tägliche Arbeit und helfen, in komplexen Umfeldern wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Nachfolgend sind alle Prinzipien praxisnah beschrieben – jeweils mit Fokus auf Umsetzung, messbare Effekte, empfohlene Instrumente und typische Stolperfallen. 

 

Prinzip 1 – Take an economic view (Ökonomisch entscheiden) 

Kernidee: Jede Entscheidung wird nach Wert, Risiko, Zeit und Kosten der Verzögerung (Cost of Delay, WSJF) bewertet. 

Umsetzung: WSJF-Priorisierung auf Portfolio- und Program-Ebene, klare ökonomische Guardrails, Hypothesen-Backlogs mit erwarteten Outcomes. 

Wirkung: Investitionen fließen in Vorhaben mit dem höchsten Geschäftswert; Verschwendung und Projektfriedhöfe werden vermieden. 

Stolperfallen: Politische Budgetverteilung, fehlendes Abbruchkriterium bei schwachen Hypothesen. 

 

Prinzip 2 – Apply systems thinking (Systemisch denken) 

Kernidee: Nicht einzelne Abteilungen, sondern den gesamten Wertstrom optimieren. 

Umsetzung: End-to-End-Wertstromanalysen, Architektur- und Compliance-Leitplanken, gemeinsame Definition of System Done. 

Wirkung: Frühzeitige Identifikation von Abhängigkeiten, schnellere Integration, Reduktion von Rework. 

Stolperfallen: Lokale Effizienzprogramme, die die Gesamtdurchlaufzeit verschlechtern. 

 

Prinzip 3 – Assume variability; preserve options (Variabilität annehmen, Optionen wahren) 

Kernidee: Entscheidungen erst treffen, wenn genügend Wissen vorliegt; mehrere Optionen so lange wie möglich offenhalten. 

Umsetzung: Set-based Design, parallele Prototypen, Hypothesen- und Experiment-getriebene Entwicklung, A/B-Tests. 

Wirkung: Reduziertes Risiko teurer Fehlentscheidungen, größere Innovationskraft. 

Stolperfallen: Zu frühe Festlegung auf eine einzige Lösung. 

 

Prinzip 4 – Build incrementally with fast, integrated learning cycles (Inkremental bauen, schnell lernen) 

Kernidee: In kleinen, vollständig integrierten Schritten liefern und kontinuierlich Feedback einholen. 

Umsetzung: Kurze Iterationen, System Demos pro Sprint/PI, Continuous Integration/Continuous Delivery (CI/CD), vertikales Feature-Slicing. 

Wirkung: Rasches Kundenfeedback, höhere Produktqualität, schnellere Wertschöpfung. 

Stolperfallen: Große Batches, verspätete Integration. 

 

Prinzip 5 – Base milestones on objective evaluation of working systems (Objektive Meilensteine am funktionierenden System) 

Kernidee: Fortschritt nur an funktionierenden, getesteten Systemen messen. 

Umsetzung: Meilensteine mit objektiver Evidenz wie funktionierende Systemdemos, automatisierte Tests und definierte Qualitätskriterien. 

Wirkung: Realistische Projektsteuerung, frühzeitige Fehlererkennung. 

Stolperfallen: Dokumentations-Meilensteine ohne funktionsfähiges Ergebnis. 

 

Prinzip 6 – Make value flow without interruptions (Wertfluss ohne Unterbrechung) 

Kernidee: Durchgängigen Flow schaffen und Blockaden systematisch abbauen. 

Umsetzung: WIP-Limits, Engpassanalyse, Nutzung der acht Flow-Beschleuniger (z. B. kleinere Batches, Verringerung von Wartezeiten, Visualisierung mit Cumulative Flow Diagram). 

Wirkung: Kürzere Durchlaufzeiten, höhere Liefertreue. 

Stolperfallen: Überlastung einzelner Schlüsselrollen, unerkannte Warteschlangen. 

 

Prinzip 7 – Apply cadence; synchronize with cross-domain planning (Kadenz anwenden, über Domänen hinweg synchronisieren) 

Kernidee: Gemeinsame Takte und regelmäßige Abstimmungspunkte schaffen. 

Umsetzung: Feste Iterations- und PI-Kadenzen, PI Planning, Coach Sync/Scrum of Scrums, regelmäßige Inspect & Adapt-Workshops. 

Wirkung: Planbare Lieferfähigkeit und transparente Abhängigkeiten über alle Teams und Wertströme hinweg. 

Stolperfallen: Kadenz ohne echte Synchronisation, Meetings ohne verbindliche Ergebnisse. 

 

Prinzip 8 – Unlock the intrinsic motivation of knowledge workers (Intrinsische Motivation freisetzen) 

Kernidee: Menschen durch Sinn, Autonomie und Mastery motivieren. 

Umsetzung: Gemeinsame Produktvision, Delegation Poker, Moving Motivators (Management 3.0), kontinuierliche Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. 

Wirkung: Höheres Engagement, Innovationskraft und geringere Fluktuation. 

Stolperfallen: Schein-Empowerment ohne reale Entscheidungsspielräume. 

 

Prinzip 9 – Decentralize decision-making (Dezentral entscheiden) 

Kernidee: Entscheidungen dort treffen, wo das Wissen vorhanden ist – innerhalb klarer Leitplanken. 

Umsetzung: Klare Entscheidungsleitplanken, RACI-Modelle, Delegation Boards, transparente Informationsflüsse. 

Wirkung: Schnellere Entscheidungen, höhere Qualität, geringere Verzögerungskosten. 

Stolperfallen: Pseudo-Dezentralisierung, fehlende Transparenz über Konsequenzen. 

 

Prinzip 10 – Organize around value (Rund um Wert organisieren) 

Kernidee: Teams und Agile Release Trains (ARTs) konsequent entlang von Wertströmen strukturieren. 

Umsetzung: Identifikation von Development und Operational Value Streams, passender ART-Schnitt, Kapazitätsallokation nach Geschäftswert. 

Wirkung: Klare Verantwortlichkeiten, verkürzte Durchlaufzeiten, kontinuierlicher Kundennutzen. 

Stolperfallen: Wertströme nur auf dem Papier definieren, während die Organisation faktisch funktionsorientiert bleibt. 

  

Relevanz für Organisationen 

Die zehn Prinzipien sind der Schlüssel, damit SAFe nicht zur Ritualsammlung verkommt, sondern Wirkung entfaltet: 

- Strategisch: Prinzipien wie Take an economic view und Organize around value stellen sicher, dass Investitionen dort landen, wo sie den größten Geschäftswert erzeugen. Ohne sie entstehen „Projektfriedhöfe“ mit vielen gestarteten, aber kaum abgeschlossenen Initiativen. 

- Strukturell: Mit Systems Thinking und Organize around value werden Silos aufgebrochen. Teams und ARTs arbeiten entlang von Wertströmen, Integration wird schneller, Verantwortlichkeiten klarer. 

Kulturell: Prinzipien wie Respect for People und Unlock motivation f. - ördern eine Kultur von Vertrauen, Sicherheit und Empowerment. Organisationen, die darauf verzichten, laufen Gefahr, SAFe oberflächlich einzuführen, während alte Command-and-Control-Muster bestehen bleiben. 

- Operativ: Prinzipien wie Make value flow, Build incrementally und Apply cadence sichern Lieferfähigkeit. Statt hektischem Projektfeuerwerk entstehen vorhersehbare, stabile Lieferstrukturen.  

Zusammengefasst: Die SAFe-Prinzipien geben Orientierung in Komplexität, schaffen Fokus auf Wert, verankern Motivation und liefern operative Stabilität. Ohne sie bleiben Transformationen oberflächlich. 

 

Praktische Beispiele  

Automotive – Systems Thinking & Organize around Value 

- Herausforderung: Ein OEM hatte seine Entwicklung traditionell in Abteilungen gegliedert: Elektronik, Mechanik, Software. Jede Abteilung optimierte ihre eigene Effizienz, doch Integration dauerte Monate. Fehler wurden erst spät erkannt. 

- Anwendung der Prinzipien: Mit Systems Thinking wurde der gesamte Wertstrom „ADAS-Funktionen“ betrachtet – von Sensorik über Software bis zur Fahrzeugintegration. Durch Organize around Value wurden funktionsübergreifende ARTs entlang dieses Wertstroms aufgebaut. 

- Ergebnis: Statt isolierter Optimierung entstand ein durchgängiger Entwicklungsfluss. Teams konnten Abhängigkeiten früher klären, Integrationszyklen verkürzten sich von 12 auf 6 Monate. 

Telekommunikation – Make Value Flow & Apply Cadence 

- Herausforderung: Ein Telko hatte ein Netzmodernisierungsprogramm mit über 20 Teams. Testressourcen waren chronisch überlastet, Releases verzögerten sich regelmäßig. 

- Anwendung der Prinzipien: Mit Flow-Metriken wurde sichtbar, wo Arbeit stockte. Kanban-Boards auf ART-Ebene machten Engpässe im Test transparent. Mit Cadence (PI Planning alle 10 Wochen) wurden Releases so getaktet, dass Tests planbar integriert wurden. 

- Ergebnis: Engpässe konnten gezielt aufgelöst werden, Durchlaufzeiten für Features sanken um 30 %, und die Stakeholder erhielten regelmäßige, vorhersehbare Lieferungen. 

Banking – Variability & Build Incrementally 

- Herausforderung: Eine Bank wollte neue Mobile-Banking-Features entwickeln. Die übliche Praxis wäre gewesen, sich früh für einen Lösungsansatz zu entscheiden und diesen monatelang umzusetzen. 

- Anwendung der Prinzipien: Mit Assume variability wurden drei verschiedene UX-Prototypen parallel entwickelt und im Markt getestet. Mit Build incrementally wurden erste minimal funktionsfähige Versionen (MVPs) schnell live gebracht, um echtes Feedback zu sammeln. 

- Ergebnis: Statt eine riskante Großlösung zu entwickeln, konnte die Bank auf Basis echter Kundendaten entscheiden. Das Risiko von Fehlinvestitionen sank, die Time-to-Market beschleunigte sich um X0 %. 

 

CALADE-Sichtweise 

Wir erleben oft, dass Unternehmen SAFe-Rituale einführen, ohne die Prinzipien zu verinnerlichen. PI Plannings finden statt, aber es gibt kein echtes Alignment; Entscheidungen bleiben zentralisiert, obwohl Prinzip 9 anderes fordert. 

Bei CALADE nutzen wir die Prinzipien als Reflexionsrahmen: Wir prüfen mit Führungskräften und Teams, welche Prinzipien sichtbar gelebt werden und wo nur die Fassade steht. Erst wenn Prinzipien wie Decentralized Decision-Making oder Organize around Value wirksam umgesetzt sind, entfaltet SAFe sein Potenzial. 

 

Weiterführende Begriffe 

- Core Values 

- Lean-Agile Mindset 

- House of Lean 

- Flow Metrics 

- PI Planning 

- Value Streams 

← zurück zur Übersicht